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Mittwoch, 1. April 2015

Schuld (Teil 1)



Hallo ihr Lieben,

heute möchte ich etwas zum Thema Schuld schreiben. Wie ihr wisst, führe ich viele Gespräche mit Eltern, die verlassen wurden oder die den Anderen verlassen haben. In diesen Gesprächen fällt mir eines immer wieder auf: Derjenige, der den Anderen verlässt, spricht meist davon, dass der Andere "Schuld" hat. Im Grunde ist das nicht schlimm, es mag ja sogar so sein, dass der Andere Dinge getan hat oder vielleicht auch eben nicht getan hat, die zum Scheitern der Beziehung führten. Oft ist es aber nicht ganz so einfach.

Aber gehen wir einmal kurz davon aus, dass es tatsächlich ein einseitiges Verschulden gibt. Daraus kann/muss der "Unschuldige" seine Konsequenzen ziehen. Dies ist die Trennung an sich. Darüber hinaus hat niemand das Recht, einen Anderen zu "bestrafen". Ein wenig anders ist das natürlich, wenn Gewalt, Misshandlungen oder Ähnliches im Spiel sind. Aber auch hier ist von Selbstjustiz abzuraten. Dafür gibt es Gerichte, denn ein solcher Vorwurf muss nicht nur in den Raum gestellt sein, er muss auch bewiesen werden. Unter normalen Umständen verliert die Frage nach der Schuld aber jede Relevanz, denn die Konsequenzen sind bereits gezogen.
Da es aber in der Realität oft anders ist, möchte ich das Thema Schuld einmal näher beleuchten und stelle mir dazu drei Fragen:
1. Was ist Schuld?
2. Wie empfinden wir schuld?
3. Warum ist immer der andere schuld?

Es gibt drei Ebenen, auf denen Schuld eine Rolle spielt: die persönliche, die gesellschaftliche und die rechtliche. Letztere werde ich nur im Ansatz behandeln, da sie hier wenig von Belangen ist.

Schuld ist, auf der persönlichen und der gesellschaftlichen Ebene, ein erlerntes Konzept, das von den Konventionen unseres persönlichen Umfelds und der Gesellschaft an sich, geformt wird. So wird sich z.B. ein Schlachter selbst nicht in der Schuld sehen, wenn er eine Kuh tötet, denn es ist sein Beruf. Ein vegan lebender Mensch wiederum würde sich sehr wahrscheinlich schuldig fühlen, wenn er eben dieses tun würde, denn für ihn ist es Mord. Warum ist das so? Jeder hat seine eigenen Vorstellungen von Moral. Diese werden uns von Kindesbeinen an anerzogen. Geprägt werden diese von den Eltern, den Freunden, dem Kulturkreis und unseren eigenen Präferenzen. Das Verletzen dieser Moral führt dazu, dass wir uns schuldig fühlen. So können zwei Menschen, die in einem Haushalt wohnen, sich lieben und ihr Leben miteinander teilen, durchaus unterschiedliche Moralvorstellungen haben und somit auch Schuld unterschiedlich empfinden.

Auch von der Gesellschaft wird Schuld durchaus unterschiedlich empfunden. Ein Singlemann, der häufig wechselnde Sexualpartner hat, wird landläufig als "Checker" angesehen. Eine Singlefrau, die dasselbe macht, wird allerdings ganz anders bezeichnet und angesehen. Paradoxerweise ändert sich das, sobald man in einer Beziehung ist. Ein verheirateter Mann, der aufgrund von sexueller Frustration in der Ehe, fremdgeht, wird als Ehebrecher gesehen. Macht eine Frau dasselbe, aus denselben Gründen, wird auch hier, in der Regel, die Schuld bei dem Ehemann gesucht, denn er hätte sich mehr um die Bedürfnisse der Frau kümmern müssen.

Noch komplexer wird das Ganze, wenn das gesellschaftliche, das rechtliche und das persönliche Empfinden von Schuld kollidieren. Ein amerikanischer Soldat, der im Krieg einen Mann getötet hat, wird in seinem eigenen Land von manchen als Nationalheld gefeiert, von anderen als Mörder gesehen. Er selbst kann dabei schreckliche Schuldgefühle empfinden, die ihn seelisch zerstören können. Vor dem Gesetz wird er als vollkommen unschuldig gesehen.
Ein Mann, der aus Habgier einen anderen tötet, wird von der Gesellschaft und vor dem Gesetz allgemein hin als schuldig gesehen. Er selbst kann sich aber vollkommen unschuldig fühlen. Dafür muss keine geistige Störung vorliegen, es liegt einfach an seinen moralischen Vorstellungen.

Nun müssen wir versuchen zu verstehen, wie wir selbst Schuld empfinden.
Das Bewerten der Frage "Wer hat Schuld?" ist, besonders im Zusammenspiel zweier Individuen, oft eine sehr subjektive Angelegenheit. Dazu möchte ich euch zwei Beispiele nennen.
1. Eine Person hält ein Glas mit Wasser in der Hand und lässt es fallen. Dieses zerschellt am Boden. Ein klarer Fall, die Person ist schuld, dass dieses Glas zerbrochen ist, denn sie hat es losgelassen.
2. Ein Mann und eine Frau halten gemeinsam ein Glas mit Wasser in ihren Händen. Beide verlassen sich darauf, dass der jeweils andere das Glas festhält, und lassen dieses in dieser Annahme los. Das Glas fällt zu Boden und zerbricht. Wer ist schuld? Hier ist die Frage nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. Klar, für ihn ist sie schuld, er hat sich ja auf sie verlassen. Klar ist auch, für sie ist er schuld, denn auch sie hat sich auf ihn verlassen. Ich würde behaupten wollen, dass beide zu gleichen Teilen schuldig sind. Die Verfehlung liegt hier aber nicht darin, dass sie das Glas losgelassen haben, sondern dass sie nicht miteinander kommuniziert haben. Hätten sie dies getan, hätten sie sich absprechen können, wer das Glas wann hält.

Hier lässt sich erkennen, wie subjektiv das Empfinden von Schuld und dessen Verteilung sein kann.
Interessant und vor allem hinderlich wird das Ganze dann, wenn nach der Trennung Kinder im Spiel sind. Oft steht das Empfinden von Schuld oder viel mehr das Zuweisen von Schuld, dabei im Weg, Regelungen beispielsweise für den Umgang mit den Kindern zu finden. Hier kommt dann das zum tragen, was ich anfangs bereits erwähnte. Die Konsequenz ist bereits gezogen, man hat sich vom anderen getrennt. Somit ist es nicht mehr relevant, wer an der Trennung Schuld ist oder nicht, denn man hat sich voneinander getrennt, aber nicht von den Kindern.

Oft habe ich beobachtet, dass es immer der Andere sein soll, der die alleinige Schuld an der Trennung trägt. Warum ist das so? Die Medien, die Gesellschaft und auch unser direktes Umfeld suggerieren uns eine Erwartungshaltung. Es wird von uns erwartet, dass alles immer glatt laufen muss. Der Job muss sicher sein, das Einkommen möglichst hoch und die Familie muss harmonisch funktionieren. Erkennen lässt sich das sehr schön daran, dass selbst in den zerstrittensten Familien nach außen hin oft ein Bild der perfekten Harmonie mit allen Mitteln aufrechterhalten wird. Wenn eine Beziehung also scheitert, haben wir versagt. Wir haben uns, unsere Erwartungen und die Erwartungen unseres Umfeldes sowie der Gesellschaft enttäuscht. Für viele, ich würde sogar behaupten wollen, für die meisten, ist das nur sehr schwer bis gar nicht hinnehmbar. So versuchen wir, die Schuld dieses Scheiterns von uns zu weisen. Lasten die Schuld dem anderen auf. Damit versuchen wir uns selbst, unser Umfeld und die Gesellschaft zu belügen. So hört man immer wieder Sätze wie: "Ich war es nicht. Wenn die Umstände nicht [...], dann hätte ich nicht!" oder "Ich bin nicht schuld. Wenn du nicht [...], dann wäre das nicht passiert!"
Damit belügen wir nicht nur uns und unsere Umgebung, nein, wir versuchen auch, unser eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. Wir nehmen uns damit aber auch die Chance, aus unseren Fehlern zu lernen. Dafür müssten wir diese Fehler eingestehen, was jedoch ein mögliche Ablehnung oder das Risiko, als Versager abgestempelt zu werden, in sich birgt. Jedoch besteht diese Angst meist nur in unserer eigenen Vorstellung.

"Jeder Fehler, aus dem wir lernen, ist ein Erfolg." - Malcom Forbes.

Das Ganze führt mich persönlich an den Anfang meiner eigenen Trennung zurück. Damals konnte ich nicht verstehen, was geschehen war und für mich war klar, dass es allein ihre Schuld war. Irgendwann wurde mir aber klar, nicht ganz ohne Hilfe, dass es eben nicht einfach nur ihre alleinige Schuld ist. Sie hat Dinge getan, die für mich nicht nachvollziehbar waren und noch immer nicht sind. Ich hingegen habe Dinge getan, die für sie nicht nachvollziehbar sind. Das, was ich getan habe, war für sie so schlimm, dass sie auch nach der Trennung nicht darüber hinwegsehen kann. Was sie tat, war für mich genauso schlimm. So drehten wir uns immer wieder im Kreis, wiesen uns gegenseitig die Schuld zu und konnten die Position des anderen weder sehen noch verstehen.
Als ich aber schließlich erkannte, dass es nicht mehr relevant ist, wer Schuld hat, aufhörte, darüber zu reden und die Schuld an sie abzugeben, besserten sich die Dinge. Langsam aber merklich. Das ist ein Prozess, der immer noch andauert, aber ich denke, es ist der richtige Weg.

So möchte ich euch nun das sagen, was mir damals gesagt wurde, euch das mit auf den Weg geben, was mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin und dazu beigetragen hat, die Dinge zu erreichen, die ich erreicht habe.

"'Wer hat schuld?', ist falsch gedacht! Richtig muss es heißen: 'Wie können wir uns einig sein?'" - Hans-Jürgen Gaugl.

So möchte ich euch ein paar Fragen mit auf den Weg geben:
"Wie definiere ich, für mich selbst, Schuld?"
"Wie viel Schuld trage ich selbst an der Trennung von meinem Ex-Partner?"
"Wie viel Schuld trägt mein Ex-Partner und warum trägt er diese, meiner Ansicht nach?"
"Was kann ich selbst für mich und meine/n Ex-Partner/in tun, um mit dem Schuldgefühl bzw. der Zuweisung dessen, besser umzugehen?"
"Wie kann mir/uns das dabei helfen, einen Konsens zu finden?"


Alles Gute,
Thomas

P.S.: Mein Dank geht an Rene für das Bild.
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